Der Neuzuschnitt der Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen stellt unter den Schlagworten: Delegation und/oder Substitution ein politisch sehr lebhaft diskutiertes Thema dar. Spätestens seit dem Gutachten des Sachverständigenrates von 2007 „Kooperation und Verantwortung - Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung“ sind wesentliche Rahmenbedingungen, unter denen diese Debatte erfolgt, bereits skizziert worden. Professor Wille hat eben davon berichtet.
Hervorgehoben wird als Begründung für die Notwendigkeit eines neuen Professionenmixes in der medizinischen Versorgung immer wieder der so genannte Ärztemangel.
Sicher muss dieser Ärztemangel differenzierter diskutiert werden. Die derzeitige Ärzteknappheit im stationären Bereich, gegenwärtig sind etwa 5.000 Stellen im ärztlichen Dienst unbesetzt, resultiert aus unterschiedlichen Faktoren. Da ist das neue Arbeitszeitgesetz, das zu einem höheren Bedarf an Ärzten geführt hat. Aber auch unterschiedliche Vorstellungen über die Vereinbarkeit von Leben und Beruf bei den nachrückenden Generationen dürfen nicht außer Acht gelassen werden. So hat sich die durchschnittliche Jahresarbeitsleistung aller Berufe in Deutschland von knapp 2.000 Stunden im Jahr 1970 auf 1.350 Stunden 2005 um ein Drittel vermindert. Das betrifft auch Ärzte und natürlich – eigentlich in diesem Kreise unnötig zu betonen – auch Pflegende.
Und schließlich vollzieht sich in der Medizin ein rasanter Wandel von einem männerdominierten Beruf hin zu einem frauenbetonten Lebensfeld. Ich bin übrigens überhaupt kein Freund des Begriffs „Feminisierung“, der da momentan in aller Munde ist. Er wird von vielen Frauen als abwertend aufgefasst; ich teile diese Auffassung, nur fällt auch mir auch keine bessere Begrifflichkeit ein. Dabei drückt dieses Wort im Kern etwas aus, was der Medizin sehr gut tut. Nur – die Medizin, vor allem aber die meisten Krankenhausbetreiber und auch manche Mediziner in Führungsfunktionen – haben sich auf diese neue Situation noch überhaupt nicht eingestellt. Sie sind schlicht einfallslos, sie haben noch nicht begriffen, dass das Gut „Ärztin oder Arzt“ rar geworden ist. Sie bieten immer noch die alten Arbeitsplätze mit ungeplanten Überstunden und Bereitschaftsdiensten an. Von Planungssicherheit in der Familie oder mit Kindern keine Spur, damit aber kann man in einem Mangelberuf keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken.
In einer sehr lesenswerten Arbeit im Deutschen Ärzteblatt vom 9. April weist der Hamburger Sozialwissenschaftler von dem Knesebeck nach, dass über ein Viertel aller Krankenhausärzte an einer gravierenden „Gratifikationskrise“ leiden. Er definiert diese als ein Missverhältnis von Verausgabung und Belohnung. Dabei geht es nicht nur um Geld, es geht um Anerkennung, Mitbestimmung, Teilhabe an Entscheidungsprozessen und Berufszufriedenheit. Es wäre übrigens einmal interessant zu erfahren, wie diese Studie aussähe, wenn man die Situation der Pflegenden erforschte. Ich glaube, da wären kaum Unterschiede. Hier sitzen wir alle im selben Boot. Hier muss etwas getan werden. Hier müssen sich Arbeitgeber und Tarifparteien etwas einfallen lassen, sonst zeigen noch mehr Menschen dem Krankenhaus die Rote Karte. Bei Arbeits- und Tarifbedingungen und Ärzte und Pflegekräfte ist noch viel Raum für Verbesserung und Mitarbeiterorientierung. Der Köder soll bekanntermaßen dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Zurück zur Frage Ärztemangel: Eigentlich bilden wir in Deutschland genug Ärztinnen und Ärzte aus. Die Gesamtzahl der Ärzte steigt unvermindert weiter. Jährliche Zuwachsraten zwischen 1% und 2% sind die Regel. Dabei wird nur gerne vergessen, dass die von mir eben erwähnten Faktoren Arbeitszeitgesetz, Veränderung des Frauenanteils und andere Vorstellungen bei der Vereinbarkeit von Leben und Beruf dazu führen, dass immer mehr Ärzte dennoch in der Summe immer weniger Arbeitszeit zur Verfügung stellen. Wir konnten in einer Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer nachweisen, dass zwischen 2000 und 2007 zwar 6,9% mehr Ärztinnen und Ärzte in die Versorgung kamen, diese aber zugleich 1,6% weniger Arbeitszeit zur Verfügung stellten. Das Paradoxon „mehr Ärzte und gleichzeitig mehr Ärztemangel“ ist also erklärbar.
Grundsätzlich liegen die Arztzahlen in Deutschland im europäischen Vergleich noch auf einem sehr hohen Niveau. Gleichwohl zeigen aktuelle Zahlen, dass in verschiedenen Regionen bereits Hausärzte, aber auch Fachärzte fehlen. Ein Hausärztemangel lässt sich nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern zunehmend auch im alten Bundesgebiet feststellen. Nicht nur in der hausärztlichen Versorgung, sondern auch in der ambulanten fachärztlichen Versorgung zeichnen sich in bestimmten Regionen unstreitig erste Engpässe ab.
Betrachtet man schließlich die Demographie der Ärzteschaft selber, so fällt auf, dass die ersten „arztstarken“ Jahrgänge demnächst in die Rente gehen. Es herrscht zugleich aber ein gravierendes Missverhältnis zwischen ausscheidenden Ärzten und nachrückenden Medizinern, die sich für klassische kurative Medizin interessieren. So kann man – die heutigen Absolventenzahlen vorausgesetzt- schätzen, dass in den nächsten zehn Jahren etwa 30.000 Ärztinnen und Ärzte mehr aus der Versorgung ausscheiden, als nachwachsen.
Kurzfristig lässt sich dieses „Loch“ sicher nicht durch Diskussionen über den numerus clausus und die Motivationslage der Studienanfänger schließen. Das kann nur gelingen, indem man die Studienbedingungen verbessert, die Studenten früher für praktische Tätigkeiten in der kurativen Medizin begeistert, Ablauf, Struktur und Finanzierung des Praktischen Jahres kritisch hinterfragt und schließlich den Übergang in die Tätigkeit am Krankenhaus erleichtert.
Das Verrückte ist: Gelänge es nur, die Studienabbrecherquote signifikant zu senken und dann zu erreichen, dass diejenigen, die das Staatsexamen erfolgreich abgelegt haben, auch für die Tätigkeit in der kurativen Medizin zu begeistern – hätten wir, zumindest zahlenmäßig, kein Problem! Wir hätten genug Ärzte, der Ärztemangel müsste nicht als Grund für eine Neudefinition und Abgrenzung von Tätigkeitsfeldern herhalten. Sie verstehen sicher, dass ich diesen Weg für vielversprechender und sinnvoller halte, als darüber zu diskutieren, wie man „ärztliche“ Arbeit auf anders qualifizierte Berufsgruppen verlagert. Der Patient hat Anspruch auf eine qualitativ hochwertige Leistung – möglichst sogar nach Facharztstandard.
Demographie betrifft aber nicht nur Ärzte, sie gilt genauso für Pflegende. Und sie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Gibt es hier Gründe, die für einen „Neuzuschnitt“ sprächen?
Aus der demographischen Entwicklung wird abgeleitet, dass sich hieraus „zwangsläufig“ ein höherer Versorgungsbedarf ergibt, der eine neue Arbeitsteilung notwendig macht. Auf den ersten Blick erscheint dies ja auch nachvollziehbar. Wir ermöglichen den Menschen ja mehr Leben am Ende ihres Lebenszyklus. Und doch bleibt diese Aussage nicht unwidersprochen. Der These, dass es allein durch die Alterung der Gesellschaft zu einem größeren Versorgungsbedarf kommt (Medikalisierungsthese), steht die Auffassung gegenüber, dass die Menschen zwar immer älter werden, sie dabei aber auch immer länger gesund bleiben (Kompressionsthese). Viele hier im Raum alle sind übrigens lebendiger Beweis für die zweite These. Ein 60-jähriger heute ist fast noch ein junger Mann – zu Zeiten meiner Eltern, war das ganz anders.
Und schließlich bedeutet der demographische Shift in unserer Gesellschaft auch, dass höherer Pflegebedarf auf weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter trifft. Werden wir also überhaupt genügend „Pflegende“ finden, um die zusätzliche Arbeit zu bewältigen? Auch hier sitzen wir also, wie bei den Arbeitsbedingungen, im selben Boot.
Sowohl die Entwicklung der Arztzahlen als auch des Versorgungsbedarfs sind also differenzierter zu diskutieren, als dies häufig geschieht. Sie begründen aber aus meiner Sicht nicht zwangsläufig einen neuen Professionenmix.
Als weiteres Argument werden daher immer wieder gerne Mittelknappheit und Unterfinanzierung genannt. In der Krankenhausverwalterliteratur wird immer wieder behauptet, dass die Krankenhäuser gar nicht umhin könnten, sich allein aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen Gedanken darüber zu machen, wie sie die eine oder andere Leistung durch Neuordnung des ärztlichen Dienstes umorganisieren können. Delegation oder gar Substitution ärztlicher Leistungen setzen aber entsprechend qualifizierte Mitarbeiter voraus, an die solche Aufgaben übertragen werden können. Wenngleich derzeit vielfältige, neue nicht-ärztliche Gesundheitsberufe mit neuen Qualifikationen entstehen bzw. sich bestehende Berufe fortentwickeln, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass diese ärztlichen Aufgaben auch kostengünstiger erbringen wollen oder können.
Hier muss zuerst sehr viel in Aus- Weiter- und Fortbildung investiert werden. Und dann prophezeie ich Ihnen auch, dass diejenigen, die dann entsprechend höher qualifiziert sind, ihre Arbeit nicht zu denselben Tarifen erledigen werden, die sie zuvor erhalten haben. Und Recht haben sie – das kann ich als ärztlicher Gewerkschafter nur uneingeschränkt unterstützen. Und so drücken diese Gedanken eben eine Milchmädchenrechnung aus. Mehr, neue, bessere, höhere Qualifikation und alte Tarife – die Rechnung wird nicht aufgehen.
Für eine neue Aufgabenverteilung sprechen allerdings am stärksten die rasend schnell wachsende Komplexität der Medizin und die geänderten Versorgungsbedarfe der Patienten. Korrespondierend hat sich das Krankheitsverständnis so geändert, dass in vielen medizinischen Gebieten die Notwendigkeit besteht, interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend in einem Team die medizinische Versorgung zu leisten. Die Langzeitbetreuung und die koordinierte Leistungserbringung, auch sektorenübergreifend, bei chronisch kranken, multimorbiden oder pflegebedürftigen Patienten werden immer wichtiger. Hieraus erwächst die Notwendigkeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie Ärzte und nicht-ärztliche Gesundheitsberufe in Zukunft besser zusammenarbeiten können. Es geht also nicht um Professionenmix mit Delegation oder Substitution, sondern vor allem um Kooperation und Koordination!
Die berufspolitische Schlüsselfrage, die sich für die Ärzteschaft in der Debatte stellt, lautet: Wird eine neuen Aufgabengewichtung zwischen Arzt und nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen unter Beibehaltung der derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen benötigt oder begründet der Wandel sogar eine vollkommen neue Versorgungsebene? Neue Versorgungsebene bedeutet aber die Substitution bisher ärztlicher Aufgaben, die Neuausrichtung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe, die dann selbst als „Marktteilnehmer“ beispielsweise in Konkurrenz zum Hausarzt agieren. Das lehnen wir Ärzte ab. Wir sprechen uns ganz klar für eine Delegation unter ärztlicher Verantwortung und gegen eine Substitution ärztlicher Leistungen durch nichtärztliche Gesundheitsberufe aus.
Was wurde bisher getan? Im ambulanten Bereich wurden die Delegationsmöglichkeiten ausgebaut. Nach dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz vom Mai 2008 sind gemäß § 87 Abs. 2b Satz 5 SGB V „ärztlich angeordnete Hilfeleistungen anderer Personen … in der Häuslichkeit der Patienten in Abwesenheit des Arztes“ möglich. Bekannt ist das AGnES-Konzept (Arzt-entlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention) aus Greifswald. Inzwischen existieren verschiedene analoge Konzepte (VERAH, EVA). Hierbei handelt es sich – das muss klar gesagt werden - nicht um Substitutionskonzepte. Die „Schwester AGnES“ agiert nicht eigenständig, sondern ist angedockt an eine ärztliche Praxis und erbringt ärztlich angeordnete Hilfeleistungen. Grundlage für das Erbringen und Abrechnen von Hilfeleistungen, die nicht-ärztliche Praxisassistenten auf Anordnung von an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten in der Häuslichkeit der Patienten, in Alten- und Pflegeein-richtungen oder in anderen beschützenden Einrichtungen in Abwesenheit des Vertragsarztes erbringen. Dies fußt auf der Delegationsvereinbarung vom 17.03.2009.
Anders sieht es mit den Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V aus. In diesen Modellvorhaben soll eine über die Delegation hinausgehende Übertragung ärztlicher Aufgaben auf nicht-ärztliche Gesundheitsberufe, speziell Pflegeberufe, erprobt werden. Internationales Vorbild hierfür sind Advanced Nurse Practitioner in den USA. Physiotherapeuten haben dieses Konzept ebenfalls aufgegriffen und fordern berufspolitisch die Einführung eines direkten Zugangs des Patienten zum Physiotherapeuten (direct access).
Die Bewertung solcher konkreten Konzepte, wie der grundsätzlichen Einführung einer neuen Versorgungsebene, erfolgt vor dem Hintergrund des ärztlichen Berufsrechts. Das ärztliche Berufsrecht erfüllt eine Doppelfunktion: Über die Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung schützt es zugleich die Patienten. In diesem Sinne dient das Berufsrecht dem Verbraucherschutz. Der Arztvorbehalt hat in der Vergangenheit eine hohe Versorgungsqualität und eine Rechtssicherheit für die Patienten sicher gestellt. Die Befürwortung des Arztvorbehalts erfolgt von ärztlicher Seite nicht aus pekuniären Motiven, sondern im Kontext vieler Faktoren:
Rechtssicherheit
Versorgungsqualität und Patientensicherheit
Patientenzufriedenheit
Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Versorgung
Berufszufriedenheit der beteiligten Gesundheitsberufe
Bewältigung neuer Aufgabenfelder (Versorgungsmanagement, Prävention etc.)
Gewährleistung der ärztlichen Weiterbildung
Im Folgenden möchte ich jetzt auf die Neuordnung des ärztlichen Dienstes in den Krankenhäusern am Beispiel des Chirurgisch-technischen Assistenten (CTA) eingehen. Wir sehen solche Konzepte sehr kritisch.
Anders als der Operationstechnische Assistent (OTA) sollen nicht-ärztliche Chirurgieassistenten auch Aufgaben übernehmen, die bisher vom ersten Assistenzarzt im OP übernommen wurden. In der Herzchirurgie, in der dieses Konzept entwickelt wurde, gehören die Venenentnahme (konventionell oder endoskopisch), die erste Assistenz, der Wundverschluss, der Wundverband und die OP-Dokumentation zu diesen Tätigkeiten.
Die Erfahrungen aus dem Projekt zeigen jedoch, dass sich Leistungen bzw. Kernprozesse identifizieren ließen, die aufgrund des Risikopotentials nicht an einen Chirurgisch-technischen Assistenten delegiert und schon gar nicht substituiert werden dürfen. „In beiden herzchirurgischen Abteilungen wurde festgelegt, dass die Überprüfung eines vom Chirurgieassistenten entnommenen Venengrafts und insbesondere der Verschluss von Seitenästen wegen des Nachblutungsrisikos weiterhin nur durch den Operateur durchgeführt werden dürfen.“ (Diegeler et al. 2006, S. A 1802). Dieses Beispiel zeigt, dass die Grenzen für die Neuordnung des ärztlichen Dienstes im Risikopotential der Aufgaben liegen, die von anderen Gesundheitsberufen übernommen werden sollen.
Hieran krankte übrigens auch das in einem privaten Klinikkonzern vor einigen Jahren entwickelte Konzept des MAFA, des Anästhesieassistenten. Der Grundgedanke war, dass mehrere besonders qualifizierte Anästhesieassistenten Narkosen unter der Aufsicht eines Facharztes machten. Das Stichwort war „Parallelnarkosen“. Aus der Gruppe der Anästhesisten gab es erhebliche Einwände gegen dieses Konzept. Es ist tragisch, dass der Versuch nach einem sehr schweren Narkosezwischenfall abgebrochen werden musste und es wäre zynisch zu behaupten, hier gäbe es einen Zusammenhang. Es zeigte sich aber deutlich, wie schwer es ist Verantwortungsneuverteilung klar zu regeln unter Berücksichtigung von rechtlichen Vorgaben wie Facharztstandard oder Arztvorbehalt und schließlich unter Beachtung des Qualitätsanspruchs.
Lassen Sie uns schließlich noch einen Blick auf die Stellensituation im Pflegebbereich werfen: Die Übernahme ärztlicher Aufgaben durch Pflegekräfte im Krankenhaus setzt voraus, dass genügend Pflegekräfte verfügbar sind bzw. diese über freie Zeitkapazitäten verfügen. Dabei wird deutlich, dass nicht nur eine ärztliche Unterversorgung droht, sondern auch ein Pflegenotstand. Seit 1995 wurde 15 % des Pflegepersonals in den Krankenhäusern bei gleichzeitiger Steigerung der stationären Fälle um 6 % abgebaut. Dies hat zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung in der Pflege mit erkennbaren Auswirkungen auf die Patientensicherheit und Versorgungsqualität geführt. Einem Positionspapier des Verbandes der Pflegedirektoren (2008) zufolge, hat diese Entwicklung zu einem Anstieg von Krankenhausinfektionen, der Zunahme von Dekubitalulcera sowie dem Burnout-Syndrom bei Pflegekräften geführt.
Im ambulanten Bereich wird es durch den demographischen Wandel zu einer Zunahme von chronischen Erkrankungen, Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit kommen. Nach derzeitigen Schätzungen wird die Anzahl der Pflegebedürftigen von 2 Mio. heute auf 3,4 Mio. im Jahr 2040 ansteigen. Hier stellt sich die Frage, ob neben der Bewältigung dieser Aufgaben noch genügend Angehörige anderer Gesundheitsberufe vorhanden sind, um zusätzlich ärztliche Aufgaben zu übernehmen?
Oder führt dies dann direkt zu einer Delegations- oder Substitutions-Kaskade?
Für die Ärzteschaft kann dies nicht die Lösung darstellen. Das berufspolitische Versorgungsziel aus Sicht der Ärzteschaft lautet vielmehr Aufrechterhaltung des Facharztstandards in Diagnostik und Therapie. Die Ärzteschaft plädiert klar gegen eine Lockerung des Arztvorbehalts.
Wie lassen sich diese Ziele unter den immer widriger werdenden Rahmenbedingungen umsetzen?
Wir erkennen an, dass die Bewältigung der Zukunftsaufgaben nur arbeitsteilig – gemeinsam - möglich ist. Erforderlich ist die Erweiterung und Optimierung der Delegationspraxis sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor. Dies klingt nach einem sehr strukturkonservativen Vorschlag, aber nach Einschätzung der Ärzteschaft sind die Möglichkeiten, die die Delegation bietet, bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Zum Optimierungspotential der Delegationspraxis in den Krankenhäusern hat die Bundesärztekammer selbst eine Studie initiiert, die 2010 veröffentlicht werden soll (Nagel und Wohlgemuth).
Die moderne Medizin selbst erfordert mehr interdisziplinäre, berufsgruppenübergreifende Teamorientierung und Kooperationsbereitschaft. Allerdings ist dann auch zu fordern, dass solche Teamleistungen entsprechend finanziert werden. Dies liegt im gemeinsamen Interesse von Ärzteschaft und z. B. den Pflegeberufen.
Mehr Teamorientierung und Kooperationsbereitschaft machen einen Paradigmenwechsel notwendig: Zukünftig muss der Fokus auf Zusammenarbeit liegen und nicht so sehr auf dem Wechselspie von Besitzstandsverteidigung auf der einen Seite bzw. dem Abstecken neuer Claims auf der anderen.
Es geht um die Synergie vorhandener Kompetenzen statt um Kompetenzverlagerung und Konkurrenz zwischen den Gesundheitsberufen. Das professionsspezifische Expertentum und das jeweilige Spezialwissen müssen anerkannt werden. Die Patientenzentrierung des Behandlungsablaufs sollte für alle Berufsgruppen im Vordergrund stehen. Ein einfacher Indikator, ob das noch klappt im Krankenhaus wäre, ob und wie oft gemeinsame Visiten durchgeführt werden. Diese für selbstverständlich gehaltene Kultur im Krankenhaus scheint durch die Ökonomisierung der Krankenhäuser mehr oder weniger zum Erliegen gekommen zu sein. Die gemeinsame Visite ist ein wichtiges Instrument zur Zusammenführung der verschiedenen Perspektiven und Kompetenzen der im Krankenhaus tätigen Gesundheitsberufe und somit zur Verbesserung der Versorgungsqualität.
Die Bundesärztekammer plädiert weiterhin dafür, den § 63 Abs. 3c SGB V neu zu formulieren und sich bei den Modellvorhaben statt auf Substitution auf die Förderung interprofessioneller Kooperation auf der Basis vorhandener Kompetenzen zu konzentrieren. Einrichtungsintern gilt es, die multi-disziplinäre Teambildung zu fördern, einrichtungsübergreifend die transsektorale bzw. interprofessionelle Vernetzung.
Ich fasse zusammen:
Weder der Ärztemangel noch der zu erwartende Mangel an Pflegekräften können eine Aufweichung des Arztvorbehalts noch des Facharztstandards begründen.
Es ist alte ärztliche Regel: Die Therapie muss dort ansetzen, wo die Krankheit entsteht. Wir brauchen also bessere Studien- und Ausbildungsbedingungen für Ärzte und Pflegende. Wir brauchen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im Krankenhaus und auskömmlich ausgestattete Arbeitsmöglichkeiten in der Praxis. Dabei muss man sowohl bei den Rahmenbedingungen wie bei der Finanzierung mehr auf die Demographie der Arbeitenden, die Wünsche nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch die materiellen Anerkennungswünsche aller im Gesundheitswesen Beschäftigten eingehen. Mit der „Geiz ist Geil“ Mentalität vieler Krankenhäuser, Krankenkassen, kranker Manager muss Schluss sein!
Neuzuschnitt der Verantwortlichkeiten als Antwort auf ökonomische Minderausstattung ist die falsche Antwort auf eine richtige Frage. Hierunter leiden Patientensicherheit und Qualität. Hinzu kommt, dass die vermeintlichen Spareffekte durch die Übertragung von Aufgaben auf vermeintlich „billigeres“ Personal von diesem schnell – und berechtigt – durch ökonomische Nachforderungen aufgezehrt werden.
Delegation unter Verantwortung durch Ärzte ist der richtige Weg – dort wo er begehbar ist. Substitution ohne Arztverantwortung ist eine Sackgasse.
Grundsätzlich gilt aber, dass ohne die Einsicht, dass alle zusammenarbeiten müssen, die Zukunftsaufgaben, vor denen das Gesundheitswesen steht, nicht gemeistert werden können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.